3 Wochen // 30 Stationen // 150km mit dem Rad
Drei Wochen lang sind die wunderbare Julia von Wild, die mein Bremer Büro verantwortet und ich kreuz und quer mit dem Rad durch Bremen und Bremerhaven gefahren. Dreißig Institutio-nen und Projekte haben wir besucht, 150 km mit dem Fahrrad zurückgelegt und round about 50 Stunden haben wir face-to-face mit all den besonderen Menschen gesprochen, die wir endlich wiedergesehen oder neu kennengelernt haben.
Warum ist mir meine jährliche Sommertour so wertvoll? Jede von uns hat immer nur ihren eige-nen Blickwinkel zur Verfügung. Für die komplexen Herausforderungen unserer Zeit brauchen wir aber eine vollständigere Wahrnehmung als sie einer Person oder einer Community alleine zur Verfügung steht. Erst dadurch, dass wir uns gegenseitig unsere Blickwinkel und Ideen zur Verfügung stellen, miteinander darüber sprechen und versuchen, mehr voneinander zu verste-hen, kommen wir der Vervollständigung unserer Wahrnehmung näher. Das ist ein ganz wichti-ger Motor dieser jährlichen Sommertour. Es ist aber auch einfach so toll zu sehen, was es alles für großartige Menschen, Projekte und Einrichtungen in Bremen gibt, die durch ihre Arbeit die Welt täglich etwas besser machen. Vor allem aber nehme ich aus jedem Gespräch sehr konkrete Impulse mit nach Berlin.
Danke! Danke Julia für die tolle Organisation und Begleitung (auch dafür, dass du mir so schö-ne neue Fahrradstrecken gezeigt hast – auch das ist übrigens Blickwinkel erweiternd, an man-chen Ecken war ich noch nie oder stellte ganz überrascht fest: ach so kann ich hier auch hin-kommen), danke den Kolleg*innen aus Bremen und Bremerhaven die bei diversen Terminen dabei waren und – am allerwichtigsten – danke allen, die sich die Zeit genommen haben, mit uns zu sprechen. Danke für eure und Ihre Arbeit für die Bremer*innen!

 

Tourtagebuch
Tag 1, 8. August 2022
Erster Tag meiner Sommertour und mir geht das Herz auf.
Drei Stationen, wo Menschen durch ihre Arbeit einen entscheidenden Unterschied in unserer Stadt machen. Drei Stationen, wo die gehört werden, die sonst viel zu oft nicht gehört werden. Der Tag begann bei „Housing First“, eine Initiative der Wohnungshilfe Bremen. Wohnen ist ein Menschenrecht. Darum finden hier Menschen ohne Obdach eine Wohnung, ohne dass sie zu-nächst dies oder das geleistet haben müssen. Es gibt erst eine Wohnung und dann kommen alle übrigen notwendigen Hilfen im Anschluss. Quasi, wenn eine Person ins Eis einbricht, dann helfe ich ihr erst ans Ufer und stelle keine Bedingungen, wie „Du musst erst vom Alkohol weg-kommen.“ oder „Du musst erst arbeiten gehen.“ Sehr überzeugend. Gut, dass es inzwischen auch in anderen Städten ähnliche Initiativen gibt
Nächster Stopp: Kinderschutzbund Bremen an der Schlachte. Kathrin Moosdorf und ihr Team helfen Kindern und Jugendlichen in Not. Und das heißt oft, die Eltern zu unterstützen oder auch Lehrkräfte und Erzieher*innen zu beraten – niederschwellig, auch aufsuchend. Als wir das Kin-derschutzzentrum betraten war direkt die annehmende, freundliche Atmosphäre zu spüren und mein Blick fiel auf eine kleine Treppe, die schon den Kleinsten bei der Anmeldung am Tresen ermöglicht, auf Augenhöhe zu agieren. Diese kleine Treppe ist kein Zufall, sondern Ausdruck der Haltung, die die Arbeit prägt: alle sollen das bekommen, was sie brauchen. Großartig! Der Hilfebedarf ist riesig und ständig wachsend. Die großen Krisen setzen gerade auch Kinder und Jugendliche sehr unter Druck. Ich bin davon überzeugt, dass der Hilfebedarf künftig noch stei-gen wird. Es ist dringend an der Zeit, den Schutz und die seelische Gesundheit der Kleinsten und Schwächsten in den Blick zu nehmen. Kinderrechte gehören ins Grundgesetz und es ist endlich an der Zeit für eine Kindergrundsicherung!
Und last but not least, haben wir eine forensische Wohngruppe der Bremer Werkgemeinschaft e. V. besucht. Was ist das nun? Ihr wisst vielleicht, dass psychisch Kranke, die im Zuge ihrer psychischen Erkrankung eine Straftat begangen haben weder in die normale JVA, noch in die Psychiatrie kommen, sondern in eine eigens dafür gegründete Institution, die Forensik. Wie kann der Übergang gelingen von der Behandlung und vom Leben innerhalb der institutionellen Mauern zum Leben „draußen“? Bremen geht seit Jahrzehnten einen sehr erfolgreichen, innova-tiven Weg und gibt Menschen, die dazu in der Lage sind, die Chance für den Übergang in be-treuten Wohngruppen in verschiedenen Stadtteilen zu leben und so wieder gut begleitet ihren Weg ins „normale“ Leben zu finden. Auch das ist aus meiner fachlichen psychiatrischen und politischen Sicht ein Leuchtturm, den wir in Bremen haben, der sich lohnt auf Bundesebene getragen zu werden. Und genau das werde ich tun.
Dafür empfinde ich meine jährliche Sommertour als so wertvoll: hautnah zu erleben, was in Bremen passiert, hier zu unterstützen und eben auch Impulse mitzunehmen nach Berlin.

Tag 2, 10. August 2022
Als ich abends durch die laue Sommernacht mit dem Rad nach Hause fuhr, kam mir der schöne Ausdruck von Friedrich Hölderlin in den Sinn: „Wieder ein Glück ist erlebt.“ Wieder ein Tag randvoll mit Begegnungen mit sehr beeindruckenden Menschen. Mit Menschen, die für andere Menschen in Bremen einen relevanten Unterschied zum Guten machen.
Unser Tag begann im Fleetgarten Bremen , ein Projekt des Vereins Sozialökologie zum gemein-schaftlichen Gärtnern. Aus mehreren Parzellen im Bremer Westen, im Ortsteil Walle, ist nicht weniger als ein paradiesischer Ort entstanden. Hier lernen Leute unter fachkundiger Anleitung die Kunst des Gärtners, ein wichtiger Beitrag zur Artenvielfalt, für Umwelt und Klima, gut für die Gemeinschaft und jede einzelne Person, die mit macht. Ich freue mic, dass auch unsere Umweltsenatorin Maike Schaefer mit dabei war!
Passend zum Gefühl im Paradies gelandet zu sein, führte unser Weg weiter zum Garten jEDEN, einem Projekt der Bremer Werkgemeinschaft. Dieses Gartenprojekt bietet psychisch Kranken einen Ort zum Arbeiten, einen Ort der Begegnung mit der Natur, sich selbst und Anderen. Es war so direkt spürbar, dass dieser Ort gut für die Gesundheit ist und wie eng Klima- und Ge-sundheitsschutz miteinander verbunden sind.
Weiter ging’s – jetzt gemeinsam mit dem Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft Thomas Pörschke zum Kontakt- und Beratungszentrum Tivoli von Comeback . Hier finden drogenab-hängige Menschen Hilfe, Halt und Beratung in allen Lebenslagen. Ein sehr wichtiges Angebot der Suchthilfe. Die Kombination aus Akzeptanz, Zugewandtheit und klaren Regeln hat mich sehr beeindruckt.
Und so ging es weiter.
Im Koalitionsvertrag für Bremen hatten wir festgelegt, dass ein Drogenkonsumraum eingerichtet werden soll und im September 2020 war es dann so weit. Seit bald zwei Jahren gibt es dieses richtungsweisende Angebot nun in Bremen und heute endlich habe ich mir den ARA Drogen-konsumraum angucken können. Es sind zwar noch provisorische Räumlichkeiten, aber die Pro-fessionalität dort könnte nicht höher sein. Sehr überzeugend, wie hier vielen hundert Menschen ermöglicht wird, unter weniger gesundheitsgefährdenden Bedingungen zu konsumieren. So geht Harm-Reduction und Gesundheitsschutz. Hilfe statt Strafe. Unterstützung statt Abwertung. So geht gute Suchthilfe.
Ich hoffe, dass noch viele Kommunen diesem Beispiel folgen. Ohne jetzt zu nerdig werden zu wollen, was Drogenpolitik angeht, aber für die von euch die es interessiert ein paar Stichworte zum Schluss: Jenseits der kontrollierten Freigabe von Cannabis, ist noch so viel mehr zu tun: Naloxon-Verfügbarkeit, Diamorphin-Ambulanzen, Drug-Checking und vieles mehr.

Tag 3, 11. August 2022
Individueller und struktureller Rassismus gründen bis heute auf tradierten Behauptungen von Ungleichwertigkeit. Wir müssen Rassismus verlernen. Dafür ist es wichtig, der Opfer des Ko-lonialismus zu gedenken. Denn wer die Vergangenheit verdrängt, trifft falsche Entscheidungen für Gegenwart und Zukunft.
Ich bin dankbar, dass es inzwischen in Bremen Tradition geworden ist, am 11. August der Op-fer des Genozids an den Ovaherero, Ovambanderu, Nama, Damara und San zu gedenken. Die Schlacht von Ohamakari am 11. August 1904 war der Auftakt für den Genozid im damali-gen Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Auch dieses Jahr war es wieder eine wür-dige Veranstaltung, welche uns Auftrag und Mahnung ist, heute und alle Tage Rassismus zu erkennen, zu benennen, zu bekämpfen und zu überwinden.
Im Focke-Museum in Bremen ist dazu derzeit eine richtungsweisende Ausstellung im Stadtla-bor zu sehen, die wir heute im Rahmen meiner Sommertour besucht haben. Eine phantastische Ausstellung, die von einem Kollektiv, überwiegend bestehend aus Schwarz positionierten Men-schen der Bremer Stadtgesellschaft entwickelt wurde und künstlerische Arbeiten von People of Color zeigt. Multiperspektivisch und interaktiv gibt die Ausstellung Gedankenanstöße, sie er-klärt weniger, als dass sie zum Nachdenken einlädt. Ich bin begeistert und empfehle allen, den Besuch der Ausstellung. Auch das übrige Focke Museum entwickelt sich stetig weiter. Danke an Anna Greve und ihr Team für die heutigen Einblicke und vor allem für ihre großartige Ar-beit. Ich kenne das Focke Museum seit Jahrzehnten noch von den Besuchen mit meinen Kin-dern als sie klein waren, natürlich von Fockes Fest (schon mal vormerken: dieses Jahr am 4. September), von meiner Arbeit im Stiftungs-Beirat und habe heute wieder gedacht, ich will echt öfter hingehen und die aktuellen Ausstellungen sehen. Echt toll!

Tag 4, 12. August 2022
Wenn du ein Kind bist und ein Elternteil stirbt, das ist eine Katastrophe. Wohin mit all der Trau-er, der Wut, der Angst, all den Gefühlen mit denen ein Kind dann konfrontiert ist, die alle neu sind, für die es keinerlei Erfahrung gibt, wie damit umzugehen ist? Und auch die Eltern sind häufig überfordert, selbst in Trauer, gleichzeitig in Sorge um ihre Kinder.
Bei Trauerland – Zentrum für trauernde Kinder und Jugendliche e. V. finden die Kinder und ihre Angehörigen Hilfe. Sie werden so kurz oder lang, so intensiv begleitet, wie sie das möchten und benötigen.
Auf meiner Sommertour komme ich viel rum. Dieser Termin war besonders bewegend. Wir wurden mit dem gleichen Ritual begrüßt, mit dem die Kinder ihre Gruppenstunden beginnen. Wir saßen gemeinsam auf großen Kissen im Kreis und haben uns gegenseitig erzählt, warum wir hier sind. So haben wir nicht nur gespürt, dass jede Person Erfahrungen mit dem Tod von nahestehenden Menschen hat, sondern vor allem wie freundlich und annehmend der Kontakt bei Trauerland ist. Das multiprofessionelle Team und viele Ehrenamtliche helfen Kindern und ihren Eltern so durch die schwere Zeit, helfen ihnen Worte für das Erlebte zu finden und mit dem gan-zen Kuddelmuddel an Gefühlen besser zurecht zu kommen. Eine Arbeit die erfunden werden müsste, wenn es sie noch nicht gäbe und die jede Unterstützung verdient hat.
Im Gespräch mit den Mitarbeiter:innen von Trauerland.

Tag 5, 15. August 2022
Zum Start in die zweite Woche meiner Sommertour, haben zwei kulturpolitische Themen einen gesundheitspolitischen Termin eingerahmt. Gleich nachdem ich diesen Satz geschrieben hatte, habe ich gedacht, dass das so eigentlich nicht ganz stimmt. Denn auch Kunst und Kultur sind elementar für unsere (seelische) Gesundheit.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir diese krasse Zeit, die geprägt ist durch sich überlappende Krisen nur individuell und gesellschaftlich bewältigen können, wenn uns der Blick von Künst-ler*innen zur Verfügung steht. Und ich bin ebenso davon überzeugt, dass Begegnung, Kontakt und Austausch mit anderen Menschen elementar ist, um diese Zeit durchzustehen und besten-falls mit zu gestalten.
Darum meine ich, dass Clubs und Musikkneipen, dass öffentliche kulturelle Räume, wo auch unwahrscheinliche und nicht geplante Begegnungen möglich sind, relevante Infrastruktur und auch für die seelische Gesundheit wichtig sind.
Der Verein Clubverstärker e.V. hat sich auf die Fahnen geschrieben, Clubs und Musikkneipen in Bremen zu stärken. Gemeinsam ist man stärker, darum sind viele Clubs und Spielstätten hier vernetzt und organisiert. Wie soll es in einem nächsten Corona-Herbst weitergehen? Klar ist, wenn zusätzliche Infektionsschutzmaßnahmen notwendig werden (und ich gehe davon aus, dass sie notwendig sein werden), dann geht das nicht ohne Förderung.
Auch das IRGENDWO ist so ein guter Ort in Bremen, wo Konzerte, Theater, Partys, politische Veranstaltung und Begegnungen stattfinden – auf einem wunderschön gestalteten Gelände in der Nähe des Flughafens. All den Personen, die noch nie oder länger nicht da waren, empfehle ich mal wieder hinzugehen – ich finde es ist noch mal schöner geworden!
Und was war im engeren Sinne gesundheitspolitisch los? Eine Praxis für Nierenheilkunde und Dialyse (Blutwäsche für chronisch nierenkranke Menschen) hatte mich eingeladen zu einem Termin. Solchen Einladungen folge ich gern, weil es nicht nur bezüglich der Fragen von guter medizinischer Versorgung für mich wichtig ist, immer wieder Einblicke aus der Praxis zu be-kommen, sondern auch weitere wichtige Themen zur Sprache kommen. Diesmal war für mich sehr eindrücklich, wie hoch das Potential für mehr Klimaschutz in den Praxen ist. Das beginnt mit Transportwegen der Patient*innen, aber auch des benötigten Materials, geht über Plastikein-sparung bis hin zu Fragen der energetischen Sanierung. Wir wissen, dass es im Gesund-heitssektor, in Kliniken und Praxen enorme Einsparpotentiale bezüglich des CO 2-Ausstoßes gibt. Ich finde es sehr gut, dass Dr. Weiß und seine Kollegen neben der Zuwendung zu ihren Patient*innen auch hier aktiv werden.
Klimaschutz ist Gesundheitsschutz. Und im Gesundheitswesen liegt noch viel Potential für Klimaschutz!

Tag 6, 17. August 2022
Mich interessiert, wo Menschen, die leicht aus dem gesellschaftlichen Blick geraten oder durch Stigmatisierungen an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, die zu oft durch die Maschen unseres Versorgungsnetzes fallen, Unterstützung erhalten. Unterstützung um im Alltag (wieder) Fuß zu fassen.
Darum haben wir uns heute gemeinsam mit Thomas Pörschke in Friedehorst über das Berufs-bildungswerk informiert, wo Menschen mit psychischen Belastungen auf dem Weg zurück ins Arbeitsleben begleitet werden. Ganz neu sind die Angebote für Betroffene von Long-COVID.
Der Leiter von Friedehorst Manfred Meyer und sein Team haben uns auch ihre Ideen zu mehr Öffnung in den Stadtteil vorgestellt. Danke für den guten Austausch!
Ein paar Schritte weiter liegt die Einrichtung zur neurologischen Rehabilitation, die inzwischen von den Johanniter-Kliniken betrieben wird. Hier finden insbesondere Kinder und Jugendliche mit neurologischen Einschränkungen, ob durch Unfälle oder Erkrankungen, Hilfe, um wieder Schritt für Schritt (teilweise im wahrsten Sinne des Wortes) zurück in ihren Alltag zu finden. Wenn eine akute Krankenhausbehandlung beendet ist, aber noch viel Weg zu gehen ist, dann ist eine Rehabilitation notwendig und hilfreich. Immer noch hat die Rehabilitation in Deutschland nicht den Stellenwert innerhalb der Medizin und Gesundheitspolitik, die notwendig ist.
Weiter ging’s per Rad von Bremen-Nord nach Oslebshausen in die Justizvollzugsanstalt. Auf dem Gelände der JVA betreibt seit 40 (!) Jahren der Verein „Mauern öffnen“ eine Bildhauer-werkstatt. Ich war vor Jahren schon mal da und war schon damals beeindruckt. Inzwischen ist es dem Verein gelungen das Angebot sogar noch zu erweitern. Das ist in mehrfacher Hinsicht richtungsweisend. Personen aus dem Jugend- und Erwachsenenvollzug finden in unterschiedli-chen Gruppen Zugang zur Bildhauerei und zum eigenen künstlerischen Ausdruck mit Keramik, Holz und Stein. Das stärkt ihre Seelen und ihr Selbstwertgefühl. Eine wichtige Voraussetzung, um nach der Haftzeit besser Fuß zu fassen. Und gleichzeitig ist dies ein Projekt der aktiven Künstler*innenförderung, denn verschiedene Bremer Künstler*innen arbeiten hier mit den Strafgefangenen und berichten davon so anschaulich und begeistert, dass es eine Freude ist.
Best-practice made in Bremen!
In der Bildhauerwerkstatt Mauern öffnen.

Tag 7, 19. August 2022
Wieder ein Tag meiner diesjährigen Sommertour voller Begegnungen mit tollen Menschen und neuen Einblicken. Diesmal: Bremerhaven.
Nun fühle ich mich seit über 30 Jahren innig verbunden mit dieser Stadt. Die Highlights am Wasser sind vielen von uns gut vertraut. Heute habe ich tolle neue Menschen und Ecken von Bremerhaven kennengelernt, die ich noch gar nicht kannte. Die Quartiersmeisterei Lehe in der Goethestraße 44a ist ein Anlaufpunkt in einem Stadtteil mit einer Reihe toller Ecken und gleich-zeitig einer Menge von Problemlagen. Hier fördert die Quartiersmeisterin Miriam Gieseking gemeinsam mit ihrem Team die Stadtteilentwicklung und sorgt für eine Verbesserung der Ar-beits- und Lebensbedingungen. So beispielsweise auf dem Pausenhof, wo für Kinder und Fami-lien ein Ort der Begegnung mitten im Stadtteil entstanden ist.
Bei unserem Rundgang mit dabei waren die Vizepräsidentin der Bremer Bürgerschaft Sülmez Dogan, die selbst in Lehe aufgewachsen ist, aus der Stadtverordneten Versammlung Doris Hoch und Michael Labetzke und viele weiter Grüne aus Bremerhaven. Das ist ganz besonders schön, alle politischen Ebenen versammelt zu haben und überhaupt, dass wir uns so alle zwi-schendurch sehen.
Superspannend für uns waren die Berichte der beiden Gesundheits-Streetworkerinnen Rieke Kupfer und Stephanie Batsch-Korneffel. Riekes Gebiet ist Lehe und Stephanie arbeitet in Leher-heide. Sie unterstützen die Menschen in ihren Quartieren bei allen Fragen rund um Gesundheit. Von Workshops zu gesundem Essen, über Kommunikation mit der Krankenkasse bis dazu ein-fach mal zuzuhören. Das ist Prävention at its best. Das ist genau das, was ich mir überall in der Republik wünsche. Danke für eure großartige Arbeit!
Gemeinsam ging’s zum Zolli. Ein ehemaliger Fußballplatz in Lehe wird bis heute von einer Ini-tiative engagierter Menschen zu einem wahren Naturparadies entwickelt. Hier wächst inzwi-schen eine Streuobstwiese, entsteht ein Wäldchen, gibt es Insektenfreundliche Beete, finden Studierende der Hochschule Platz für innovative Projekte zum Klimaschutz und mitten drin schenkt der Kulturkiosk Das Beet besten Kaffee aus, es gibt Kuchen und köstliche Speisen, am Wochenende Musik und Lesungen und vor allem Raum für Begegnung. So schön!
Das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven genießt weltweit große Anerkennung für seine Erforschung unserer Klima-, Bio- und Geosysteme. Wahrlich ein Ort auf den wir in Bremerhaven und Bremen stolz sein können! Die Klimakrise ist die größte Gesundheitskrise unserer Zeit. Klimaschutz ist Gesundheitsschutz, darüber waren die Direktorin des AWI Prof. Dr. Antje Boetius und ich uns direkt einig. Es ist elementar zu verstehen, wie die Ökosysteme der Meere auf die Versauerung und die Erwärmung reagieren. Als Antje Boetius die Versauerung, also die Abnahme des pH-Wertes und seine Folgen für das ökologische Gleichgewicht in den Meeren ansprach, habe ich Versauung verstanden und dachte für eine Sekunde sie rede über die Vermüllung mit Plastik und Mikroplastik. Neben der Versauerung ist die „Versauung“ bekanntlich leider auch ein riesiges Problem. Daran forschen ganze Abteilun-gen im AWI. Einblick in ein speziell dafür entwickeltes und eingerichtetes Labor bekamen wir durch den Leiter Dr. Christian Bock. Extrem interessante und relevante Forschung. Für unser Klima, für unsere Gesundheit! Vom Dach des AWI hatten wir nicht nur einen grandiosen Blick über die Stadt und die Wesermündung, sondern konnten auch das Drama der abgesackten Mole und des vom Umstürzen bedrohten Leuchtturmes sehen. Mit wird das Herz schwer, wenn ich ihn so schief da stehen sehen. Und mir kam er vor wie eine Mahnung: es gibt keine Zeit zu ver-lieren beim Klimaschutz. Wir wissen, dass es längst an der Zeit ist zu handeln. Tun wir es!

Tag 8, 22. August 2022
Geboren werden und sterben, das gehört zu unser aller Leben. Und doch werden diese beiden Lebensbereiche oft ausgeblendet, tabuisiert und nicht ausreichend fürsorglich ausgestattet.
An diesem Tag stand meine Sommertour ganz im Zeichen unseres Lebenszyklus.
Was braucht eine Schwangere vor, während und nach der Geburt, um diese einschneidende Lebenserfahrung gut zu bewältigen? Insbesondere was brauchen Frauen, die besonderen Hilfe-bedarf haben, sei es weil sie eine psychische Erkrankung oder schwere frühere Geburtserfah-rungen haben oder sehr jung sind? Im neuen Eltern-Kind-Zentrum am Klinikum Bremen-Mitte gibt es eine besondere Sprechstunde zur psychosozialen Unterstützung rund um Schwanger-schaft und Geburt. Ganz toll, richtungsweisend. Das braucht es flächendeckend.
Und wenn es ans Sterben geht? Dann sind Angebote der Hospizhilfe ein Segen – für die Ster-benden und für ihre Zugehörigen. Ein Begriff, Zugehörige, den ich bei unserem Besuch im An-dreas-Hospiz gelernt habe. Angehörige, aber auch Freund*innen und Nachbarn, gehören zu den Sterbenden und werden in die Begleitung mit einbezogen. Die hospizlich-ganzheitliche Haltung war bei diesem Besuch rund um spürbar, auch wir wurden mit offenen Armen und leckerem Essen, gewürzt mit Kräutern aus dem hauseigenen Kräutergarten begrüßt. Zugewandtheit und Zeit, annehmen und begleiten – all das bedeutet Zeit und Menschen für die Begleitung. Bis heute ist die Refinanzierung dieser Zeit nicht umfassend abgedeckt, so dass alle Hospize auf Spenden angewiesen bleiben.
Ich wünsche mir, dass diese hervorragende Pflege für Menschen auch außerhalb von Hospizen möglich wird, damit jede Person die hilfsbedürftig ist, auch die Hilfe bekommt, die sie benötigt.
Sehr überzeugend finde ich den Ansatz immer auch Ehrenamtliche in die Arbeit miteinzubezie-hen – denn wir alle sind ja nicht nur hilfe – sondern auch helfensbedürftig.
Genau diese Ideen des dritten Sozialraums werden im Klimaquartier Ellener Hof realisiert. Stadtentwicklung at its best. Für alles, was zwischen geboren werden und sterben liegt, gibt es hier Raum. Ein durch und durch ökologisch konzipiertes neu entwickeltes Quartier mit Kinder-gärten, Wohnen für Alt und Jung und Pflegeangeboten. Natürlich inklusive einer Kulturaula, urban gardening und einer Fahrradwerkstatt. Jahr für Jahr besuche ich das Quartier, das von der Bremer Heimstiftung und ihren Kooperationspartner*innen mit Leben gefüllt wird und bin im-mer wieder begeistert, wie es voran geht und was alles wieder Neues entstanden ist.
Bremen, was hast du für tolle Ecken und Menschen!

Tag 9, 24. August 2022
Jede Person hat nur ihren eigenen Blickwinkel zur Verfügung. Zu einer vollständigeren Wahr-nehmung können wir nur kommen, wenn wir uns zusammentun und uns gegenseitig durch un-sere Blickwinkel ergänzen. Darum liebe ich diese Sommertour und darum überzeugt mich das Konzept von Co-Working sehr.
Bei unserem Besuch im Casino Futur gab ein Wort das andere und ruckzuck waren wir mitten in superinteressanten Diskussionen zu den großen, komplexen Herausforderungen, mit denen wir alle konfrontiert sind. Guckt mal auf die Homepage vom Casino Futur wer hier alles an in-novativen und nachhaltigen Projekten zusammenarbeitet, vielleicht sind auch für euch passende Ansprechpersonen dabei. Die tolle Atmosphäre und Ausstattung beflügeln die Gedanken.
Neues Denken, neue Leute kennenlernen, neues Lernen das ist auch der Kern der Angebote in der Bremer Volkshochschule. Ich war das erste Mal in der Regionalstelle in Kattenturm und habe wieder erlebt, wie wertvoll ein solches Angebot ist, was sich buchstäblich an alle richtet. Das fördert Teilhabe, ein ganz entscheidender Beitrag für die körperliche und seelische Gesund-heit. Es war mir eine Freude und Ehre, dass ich den Gesundheitstag für die Beschäftigten eröff-nen durfte!
Zugänge zu Gesundheit. Das war unser zentrales Thema bei unserem anschließenden Besuch bei Refugio, gemeinsam mit meiner wunderbaren Kollegin Sahhanim Görgü-Philipp aus der Bremischen Bürgerschaft. Stellt euch vor, ihr seid vor Not und Verfolgung in ein neues Land geflohen, seid voller zT traumatischer Erfahrungen, merkt dass ihr psychosoziale Hilfe braucht, um all das zu bewältigen und stoßt ständig an Sprachbarrieren, mangelnde Zugänge, niemand fühlt sich zuständig. Genau da kommen die psychosozialen Zentren ins Spiel. Knapp 50 gibt es Deutschlandweit. Keines ist Teil der Regelversorgung, alle müssen ständig um ihre Finanzie-rung kämpfen. Refugio in Bremen ist eines davon und ist ein sicherer Ort für Personen, die vor Gewalt, Verfolgung, Vertreibung und Folter nach Deutschland geflohen sind. Bietet psychoso-ziale und psychotherapeutische Hilfen für die die viel zu oft keine Hilfe finden – kostenlos und mehrsprachig. Auf Bundesebene sind wir dran, dass die Sprachmittler*innen endlich adäquat finanziert werden und es ein Recht auf Dolmetscherdienste gibt für jede Gesundheitsleistung, ob körperlich oder seelisch.

Tag 10, 26. August 2022
Den Abschluss unserer dreiwöchigen Sommertour bildeten noch mal drei Highlights!
Wenn ich den Antrieb für meine politische Arbeit in wenigen Worten zusammenfassen sollte, lauten diese: Health in all policies! Health in all policies, wie es auch die WHO empfiehlt, be-deutet nicht weniger, als dass wir bei all unseren politischen Entscheidungen berücksichtigen, welche Auswirkung diese auf die öffentliche Gesundheit (Public Health) und unser aller indivi-dueller Gesundheit hat. Städte für Menschen, statt für Autos. Öffentliche Räume, viele grüne Oasen zur Beschattung und Begegnung. Klimaschutz ist Gesundheitsschutz und mehr soziale Gerechtigkeit und Teilhabe ist direkte Gesundheitsförderung.
Unsere Gesundheitsämter sind prädestiniert dafür Public-Health-Institutionen zu sein und Ge-sundheit in allen Lebensbereichen zu fördern. Das tun sie schon vielerorts, auch in Bremerhaven und Bremen. Ich bin beeindruckt und dankbar, mit wieviel Verve und Wertschätzung für die Mitarbeiter*innen uns der neue Leiter des Gesundheitsamt Bremen Dr. Moock von seinen Ideen für die öffentliche Gesundheit berichtet hat. Es gäbe viele tolle Angebote des Gesundheitsamtes hervorzuheben. Ich will heute kurz erwähnen, dass die KIPSY (Kinder- und Jugendpsychiatri-sche Beratungsstelle und Institutsambulanz) ein weiterer Leuchtturm ist, den wir in Bremen ha-ben. Vielleicht war die KIPSY nie wichtiger als jetzt, wo viele Kinder und Jugendliche sehr un-ter den seelischen Drucksituationen durch die großen sich überlappenden Krisen leiden. Sie und ihre Eltern finden hier professionelle und passgenaue Hilfen. Danke Frau Dipl. Psych Eva Szabó für die Einblicke. Den Link zur Homepage poste ich euch unten in den Kommentaren.
Öffentliche Orte für Begegnung, habe ich weiter oben geschrieben, für Begegnung und Kunst muss es richtiger heißen. Wir werden die großen Krisen unserer Zeit nur bewältigen können, wenn uns der Blick von Künstler*innen zur Verfügung steht. Es braucht Orte und Räume für Ateliers, Veranstaltungen und Begegnungen untereinander und mit den Menschen, die sich für diesen Blick interessieren. Ich bin seit vielen Jahren ein Fan des Areals am Güterbahnhof Bre-men und bin bei jedem Besuch erneut begeistert, was sich dort alles entwickelt. Ob Entsiegelung und urban gardening, ob kluge Formate während Corona, die die Besuche in der Galerie Herold weiter ermöglicht haben oder die aktuelle Ausstellung „state of play** des BBK im TOR 40. Ein Highlight ist es für mich, wenn ich einen Atelierbesuch machen darf. Danke Pio Rahner für die Einblicke in deine aktuellen Arbeiten. Wenn ihr die Gelegenheit habt, neue Sachen von die-sem bemerkenswerten Künstler zu sehen, nutzt sie!
Und was könnte besser zum Abschluss einer Sommertour taugen, als ein Fest. Nun traf es sich glücklicherweise, dass das traditionelle Fest der Architektenkammer just so lag, dass ich Gele-genheit hatte hinzugehen. Der neue Innenstadtintendant Carl Zillich hat vorgestellt, wie er bei seiner Arbeit vorgeht und welche Ideen er gerne aufgreifen möchte. Ruck zuck ergaben sich Gespräche unter den anwesenden Architekt*innen, Ingenieur*innen, Stadtplaner- und Entwick-ler*innen, wie die Städte der Zukunft, wie unser schönes Bremen sich weiterentwickeln kann.
Es ist eine Freude!