Die körperliche und seelische Gesundheit gerät durch die sich überlappenden großen Krisen unserer Zeit der Pandemie, dem Angriffskrieg auf die Ukraine und die Klimakrise – immer stär-ker unter Druck. Neben den individuellen Belastungen treffen dadurch auch Betriebe auf neue Herausforderungen, weil immer mehr Menschen wegen psychischen Erkrankungen ausfallen oder frühzeitig in Rente gehen. Die Arbeitswelt stellt mit Erwerbs-, Sorge- und eh- renamtlicher Arbeit einen elementaren Teil unserer Lebenswelt dar. Arbeitsbedingungen können dabei so-wohl Risiko- als auch Schutzfaktoren für die Gesundheit darstellen. Der Schatz der betriebli-chen Gesundheitsförderung ist noch nicht vollständig gehoben. Ein gesundheitsförderndes Ar-beitsumfeld, in dem Erfahrungen von Gestaltungsspielräumen und Selbstwirksamkeit in einem positiven Arbeitsklima gemacht werden, kann einen positiven Einfluss auf die Gesundheit ha-ben. Dennoch können bei allen Menschen im Laufe eines Lebens Belastungs- und Krisensitua-tionen sowie Phasen psychischer Erkrankungen auftreten. Bisher stellt in solchen Situationen häufig schon das Auffinden der passgenauen Hilfen eine Hürde für viele Betroffene und Ange-hörige dar. Es bedarf deshalb einer stärkeren Vernetzung und besseren Kenntnis bestehender Hilfsangebote. Betriebe können selbst aktiv werden, bspw. im Rahmen der betrieblichen Ge-sundheitsförderung oder durch Ersthelfer-Kurse für die psychische Gesundheit und so das Be-wusstsein für psychische Erkrankungen fördern.
Gerade auch im Arbeitskontext sind psychische Er- krankungen noch stark stigmatisiert. Dies betrifft sowohl eigene Erkrankungen, als auch die von An- gehörigen. Vor allem bei der Rück-kehr von Beschäf- tigten nach längerer psychischer Erkrankung haben Betroffene häufig Angst vor Stigmatisierung und Ar- beitsplatzverlust. Stigma und Vorurteile von psychi- schen Erkran-kungen müssen deshalb auch in der Arbeitswelt noch stärker abgebaut werden. Im Rahmen des Koalitionsvertrags haben wir uns vorgenommen die Entstigmatisierung psychischer Erkrankun-gen voranzubringen.
Studien aus den letzten Jahren zeigen, dass während der Pandemie die Belastungen bei Eltern und insbe- sondere bei Müttern zugenommen haben, was auch auf die noch immer ungleich verteilte Sorgearbeit zurückgeführt wird. Gleichzeitig nehmen betroffene Männer Hilfsangebote seltener in Anspruch. Auch darum sind Gendersensibilität und Gleichberechti- gung der Ge-schlechter elementar. Hier wird die Gen- dermedizin und damit auch die Erforschung unter- schiedlicher Belastungen einen notwendigen Beitrag leisten, um aufsuchende Hilfen noch ziel-gruppenspe- zifischer gestalten zu können.
Eine Zielgruppe, die immer wieder durch die Maschen unseres Hilfenetzes fällt, sind die schwer und
chronisch psychisch erkrankten Menschen. Das Ne- beneinander der Anbieter des SGB V und des SGB IX – die Trennung zwischen Behandlung und Reha/ Teilhabeförderung – sowie aller übrigen Rechtskreise muss im Interesse der Betroffenen und ihrer Ange- hörigen überwunden werden. Mit der UN-Behindertenrechtskonvention haben wir uns 2009 verpflichtet für Men-schen mit seelischen Behinderungen das gleiche Recht auf Arbeit anzuerkennen und einen offe-nen, integrativen und für Menschen mit Behinderung zugänglichen Arbeitsmarkt zu schaffen (Art. 27 UN-BRK). Berufliche Angebote müssen deshalb niedrigschwellig und nach individuel-len Bedarfen ausgerichtet sein, um eine berufliche Eingliederung zu ermöglichen. Das Bundes-teilhabegesetz (BTHG) konnte nur bedingt die beruflichen Teilhabemöglichkeiten für Menschen mit psychischen Erkrankungen verbessern. Deshalb haben wir uns im Koalitionsvertrag vorge-nommen das BTHG weiter zu evaluieren und zügig auf allen Ebenen umzusetzen. Zudem ist im Koalitionsvertrag festgehalten, dass wir einen Schwerpunkt auf die Arbeitsmarkintegration von Menschen mit Behinderung setzen.
Der psychosoziale Versorgungsbedarf wird auch in Zukunft weiter steigen. Gemeinsam mit den Betrieben müssen wir dafür sorgen, dass Arbeitsbedingungen geschaffen werden die geeignet sind die Entstehung von psychischen Erkrankungen zu reduzieren und erkrankten Menschen die Möglichkeit geben nach individuellem Bedarf am Arbeitsleben teilzuhaben. Auch hierbei ist zu beachten, dass Kli- maschutz Gesundheitsschutz ist. Maßnahmen der Hitzeanpassung schützen sowohl die körperliche, als auch die seelische Gesundheit. Gesunde und gute Arbeitsbedingun-gen sind eine verhältnispräventive Investition in die Zukunft, eine echte Win-win-Situation, denn sie lohnt sich sowohl für die Betriebe, als auch für die dort arbeitenden Menschen.